Hans Christian Andersen: 1844 auf Föhr
Endlich auf Föhr! Eine lange beschwerliche Reise lag im Sommer 1844 hinter Hans Christian Andersen – mit der Kutsche über holprige Knüppeldämme, per Dampfschiff nach Flensburg und dann weiter in Richtung eines kleinen Küstenorts namens Dagebüll. Der Aufwand lohnte sich, hatte ihn doch der zur Sommerfrische auf Föhr weilende König Christian VIII. eingeladen. „Ich habe meine Märchen dem König vorlesen müssen“, schreibt er stolz nach Kopenhagen. Lampenfieber hatte er nicht, bei gekrönten Häuptern kannte er sich aus. Schon im Kindesalter hatte er angesichts des Vorgängers Christian VIII. erkannt: „Ach, das ist ja auch nur ein Mensch!“
„Des Weges Qual bereitet freilich Zorn“, schimpfte Andersen und war mehr als froh, „ein erbärmliches Nest“, nämlich Dagebüll, mit dem nächsten Schiff nach Föhr endlich hinter sich lassen zu können. Bei der Ankunft in Wyk hellte sich sein Gemüt merklich auf, wurde er doch gleich mit dem Ruf „Andersen ist da!“ begrüßt. Und auch in anderer Hinsicht sorgte der kleine hübsche Ort für das Wohlbefinden des dänischen Märchendichters. Er notierte: „Die Häuser … haben alle nur ein Erdgeschoß“. Das Seil, das er stets im Koffer hatte, wurde also nicht benötigt, denn in Wyk musste er sich nicht notfalls aus einem mehrstöckigen, brennenden Haus abseilen. Und dass er jedes Mal in einen gerade verlassenen Raum noch einmal zurückging, um zu sehen, ob die Kerzen auch wirklich ausgemacht wurden, fiel hier auch nicht auf. Vor dem Feuer hatte jeder angesichts der Reetdächer mehr als Respekt.
Ein Logis fand Andersen wie auch die Angehörigen des dänischen Hofstaats in Wyker Privathäusern. Er wohnte in der Großen Straße 16, wo noch heute eine Tafel an seinen Aufenthalt erinnert. 1844, vor dem ersten großen Stadtbrand von 1857, stand dort ein eingeschossiges Haus mit Reetdach, in dem eine umsichtige Vermieterin für das Wohl ihres berühmten Gastes sorgte. Schon gleich am ersten Abend war Andersen beim Königspaar eingeladen, das nicht weit entfernt im „Königshaus“ (heute: Bereich nördliche Ecke Große Straße und Königstraße) residierte.
Sehr angetan lauschten die königlichen Ohren seinen Texten. Man weiß, dass Andersens Märchen „dem König und der Königin über alle Maßen“ gefielen, besonders „Die Nachtigall“ und „Der Schweinehirt“. Die zur Märchenstunde Eingeladenen applaudierten entzückt, denn etwas „Treuherziges liegt in seinem ganzen Wesen … Andersens Art zu erzählen wirkt sehr komisch durch die Beschwerlichkeit seiner dänisch-deutschen Sprache.“ Er „begleitete alles, was er sprach, mit lebhaften Gesten“. Die königlichen Lesestunden bescherten Andersen einen großen Erfolg in dem kleinen Seebad Wyk.
Aber vor einem seiner Probleme konnte er selbst auf dieser kleinen Nordseeinsel nicht weglaufen. Im Gegenteil: Die redenden Steine auf dem Friedhof Boldixum zogen ihn geradezu magisch an. Wie um seiner größten Angst, lebendig begraben zu werden, Herr zu werden, besuchte er immer wieder Friedhöfe. Der noch heute stehende Grabstein von Catrina Boyens (1715-1747) fesselte Andersen ganz besonders: Christus tritt aus der Heiligen Stadt und nimmt eine Frau mit ihrem Kind in Empfang, während ihr Mann sie Abschied nehmend an der Hand hält.
Sehr modern und überhaupt nicht ängstlich war Andersen, wenn es um das Baden in der Nordsee vor Wyk ging. Unheimlich war den Menschen seiner Zeit das Meer, mit dem Wasser sollten angeblich Krankheiten durch die Haut dringen. Und wer konnte schon schwimmen? Hans Christian Andersen. Im Hafen von Kopenhagen hatte er es – unter Lebensgefahr – gelernt. Wie wunderbar waren die Nordseewellen vor Wyk! Andersens Begeisterung ging in die Geschichte des Seebads Wyk ein: „Ich habe jeden Tag gebadet und muss sagen, es ist das unvergleichlichste Wasser, in dem ich je gewesen bin!“ Es ist nämlich „so salzig, dass die Tränen einem aus den Augen laufen, wenn man heraufkommt. Das Blut wird in die wunderbarste Bewegung versetzt, man brennt den ganzen Tag wie Feuer.“
Text und Fotos (2): Karin de la Roi-Frey