Föhrer auf Walfang: Längst nicht alle kamen zu Ruhm und Wohlstand

Das Jahr der Föhrer begann einst mit Abschieden. Der eine war inmitten der rauen Nordsee willkommen und fiel leicht. Der andere machte die Herzen schwer. Manchmal konnte es sein, dass der Tag der großen Biikefeuer, mit denen der Winter am 21. Februar verabschiedet wurde, zusammenfiel mit der Ausfahrt der Walfänger. Dann loderten die weithin sichtbaren Flammen auf den Inseln, die die Männer noch einmal grüßen sollten. Das mag vor allem die Zurückbleibenden getröstet haben.

Über tausend Männer verließen die Insel und wurden in einmastigen, flachgehenden Küstenfrachtseglern, die jeweils zirka 100 Männer, aber auch 200 an Bord hatten: „Wir lagen ... eingepackt wie die Heringe..., so dass die Füße nach dem Kopf des anderen reichen.“ Und wer von den Jungen noch nicht seefest war, hatte einen Stiefel bei seinem Kopfkissen worin man „brechen und speien“ konnte. Von Föhr ging es auch auf so einem Schmackschiff nach Hamburg oder Amsterdam, von wo die Walfangschiffe nach Grönland fuhren, um die „Bullen der See“ zu jagen.

Die nordfriesischen Inseln sind nicht nur die Inseln der Seefahrer, sondern auch die der Seemannswitwen und -waisen. Die Kirchenbücher sind voll von Todesfällen auf diesen monatelangen, gefährlichen Walfangreisen, die längst nicht allen Walfängern Wohlstand oder sogar Ruhm brachten. Die „Hand Gottes“, die Schwanzflosse des Wals, die verunglückte Walfänger als Letztes noch sahen, machte keine Ausnahmen. Und so verunglückte der Zwölfjährige Föhrer Schiffsjunge Meinert Harmens im Juni 1743 vor Grönland tödlich. Man brachte seine Leiche zurück in die Heimat, dass seine Mutter Göde ihn auf seinem letzten Weg auf den Boldixumer Friedhof begleiten konnte. Das war nicht einfach, wie sollte man eine Leiche so lange erhalten? Vielleicht wurde der kleine Meinert in ein mit Salz gefülltes Fass gelegt, das man zunagelte. Vielleicht wurde seine Leiche auch tief unten im Schiff aufbewahrt, wo es kalt und dunkel war.

Die Inselchroniken berichten immer wieder von entsetzlichen Unglücksfällen. So fuhren 1777 von den 90 Einwohnern Hedehusums fast ein Drittel nach Grönland zum Walfang. 13 von ihnen sollten ihre Heimat nicht wiedersehen. 14 große Walfangschiffe gingen vor Grönland verloren. Zu den Opfern des größten Unglücks der Grönlandfahrt, das nie ganz geklärt werden konnte, gehörte auch der Vater von Krassen Rörden, deren kaum behauener, kopfgroßer Stein noch heute an der südlichen, äußeren Kirchenwand von St. Laurentii in Süderende liegt. Er trägt die Inschrift „S“ (Selige) und darunter in ihrem Todesjahr ihre Initialen: „17 K R 88“. Nicht weit entfernt steht der Grabstein des wohl berühmtesten Föhrer Walfängers: Matthias Petersen, wegen seiner hohen Fangzahlen als „Der glückliche Matthias“ bezeichnet.

„Grolanner“ nannte man respektvoll die Männer auf Walfang, die auf einem speziell dafür gebauten Schiffstyp, dem Bootschiff, mit drei vollgetakelten Masten, einem für die Weiterverarbeitung des Wals sehr geräumigen Deck und auffallend vielen, häufig außenbords angebrachten Booten bzw. Schaluppen fuhren. Das niederländische Wort „Makker“ (Freund, Partner, Kompagnon) bürgerte sich dabei für die Gemeinschaft (Mackerschaft) zweier oder mehrerer Commandeure (Kapitäne eines Walfangschiffes) ein, die zusammen auf Walfang gingen und ihren Fang später teilten. Vom Erfolg, Wohlstand und Ruhm dieser Männer erzählen heute noch so manche Häuser und ihr Interieur wie die beeindruckenden Fliesentableaus. Sie schmücken die Inseldörfer, während die Tradition der Wyker Commandeure durch zwei Stadtbrände (1857, 1869) so gut wie verloren ging.

Seit das erste namentlich bekannte Hamburger Walfangschiff „De Liefde“ in Richtung Norden aufbrach und dann gleich eine große, während der ganzen Hamburger Grönlandfahrt nur noch einmal übertroffene Ausbeute mitbrachte, versuchten die Männer der Küste ihr Glück mit dem Walfang. Neben dem Commandeur und den Steuermännern in Offiziersrang fuhren als Spezialisten die Speckschneider auf den Schiffen. Mit untergeschnallten Specksporen, die das Abrutschen verhindern sollten, stiegen sie auf den längsseits geholten Wal und schnitten mit langen Speckmessern die Speckschicht ab, die dann an Bord geholt wurde. Voller Stolz ließ sich ein Föhrer Speckschneider auf einem Wal sitzend auf seinem Grabkreuz verewigen. Heute befindet es sich im Wyker Friesenmuseum, dessen Eingang geschmückt ist vom Kiefer eines Wals. Das ist inzwischen eine Nachbildung, und auch mit der Straße „Grönland“ in Boldixum hat es seine eigene Bewandtnis. Die erinnert nämlich nicht an den Walfang, sie weist vielmehr darauf hin, dass es mit ihr zum grünen Land, also in die Marsch, geht.

Hart und entbehrungsreich waren die Wochen und Monate auf den Walfangschiffen. Shantys sollten die Arbeit der Männer an Bord begleiten, antreiben oder strukturieren: „Wenn dat Leed to End weer, seet dat Seil, dat weer genau utrecknet“ und: „Mennichmal sungen se dat op mehrere Scheepen to glieker Tied, de Grönlandfohrer fohrn meisttieds tosam aff, Wenn de Luft denn still weer, kunnst dat milenwiet hörn.“ Die Erträge der Walfänger wurden überall im täglichen Leben gebraucht: Walbarten wurden zu Streben für Schirme, Reifröcke, Mieder und Damenhüte, zu Reitpeitschen und feinen Korbwaren. Und die anfallenden Hobelspäne wurden zu Polstermaterial. Walrat, diese ölige, weißliche Flüssigkeit aus den Schädelhohlknochen der Pottwale, diente als gereinigtes Wachsgemisch etwa zur Herstellung von Salben, aber auch als besonders heller, reiner und darum teurer Brennstoff. Tranbrennereien, in denen der Walspeck verarbeitet wurde, gab es in verschiedenen Küstenorten und auch bereits 1711 auf Föhr. Die Wyker Tranbrennerei befand sich etwa dort, wo heute das Café „Valentino" steht. Auch in die Umgangssprache fand der Tran des Wals Eingang. Mit geringschätzenden Bezeichnungen wie „Tranpüster“, „Trankopp“ oder „Tranfunzel“ sind Menschen gemeint, die zu langsam und langweilig, geistig schwerfällig, eben „tranig“ sind.

„Tranböcke“ nannte mancher etwas verächtlich die Walfangschiffe, deren große Zeit um 1800 zu Ende ging. Die Männer der Insel gingen nun auf Handelsfahrt, intensivierten die Landwirtschaft, und 1819 begann mit der Gründung des Seebades Wyk ein neues „goldenes Zeitalter“. In den 1950er Jahren gingen noch einmal einige Inselmänner an Bord der Walfangflotte des Griechen Aristoteles Onassis, dann endete diese Ära endgültig.

Text und Fotos (4): Karin de la Roi-Frey