Mandränken, Sturmfluten und Hochwasser

Bemerkenswert, wenn nicht berührend ist es für so manche nach Föhr Reisende, mit dem Schiff über einen Grund zu fahren, auf dem einst Menschen lebten. Alte Karten zeigen es: Föhr war nicht immer eine Insel. Davon zeugen auch der einstige Nordmarscher Kirchensteig in Nieblum und der Wyker Rebbelstieg.

Auf der Warft Hilligenlei der Föhr gegenüberliegenden Hallig Nordmarsch-Langeneß starb am 3. Juli 1604 eine Frau namens Cateryne Knutsen, deren Leichnam wohl über diesen Kirchensteig nach Föhr gebracht wurde. Die Sage erzählt, dass man nur auf einen Pferdeschädel zu treten brauchte, um von Ort zu Ort zu gelangen. Gesichert ist, dass Föhr zu dieser Zeit mit der Hallig noch landfest war. Der große, imponierende Grabstein von Cateryne Knutsen an der Südwand der St. Nicolai-Kirche in Boldixum erzählt davon. An den Ort „Rebbel“, der vor langer Zeit südlich Föhrs im heutigen Wattenmeer lag, erinnern nur noch alte Karten und der Wyker Rebbelstieg, der dorthin einst geführt haben soll.

Ist die Insel Föhr heute nur übers Wasser zu erreichen, so gehörte sie also einst zu einer amphibischen, von großen und kleinen Wasserwegen durchzogen Landschaft, die mit der Nordsee eng verbunden war. Davon zeugen auch an der Boldixumer Marsch aufgefundene Reste von Fischkörben, die auf eine Fischhandlung mit Anlegeplatz hinweisen. Und auch ein Midlumer Hafen konnte vor einigen Jahren genau lokalisiert werden. Letztlich aber waren es unbedeutende Ströme, die das Land vor langer, langer Zeit durchzogen. Und Sylt, Amrum, Föhr und die Halligen lagen einst so eng beieinander, dass es kein Problem war, über den Landweg von Insel zu Insel zu gelangen.

Dann aber brachte das 14. Jahrhundert eine generelle Klimaverschlechterung in Europa. 1362 zerstörte die erste Grote Mandränke (das Große Menschenertrinken) die friesische Uthlande, die sich zwischen Sylt und der Eidermarsch vor der Geest des Festlandes weit nach Westen erstreckte. Neben Tausenden von zu beklagenden Opfern veränderte diese Sturmflut mit ihrem drei Tage wütenden Orkan für immer die Landschaft der friesischen Uthlande. Ganze Landstriche verschwanden, Dörfer und Orte wie Rungholt gingen in den Fluten unter. Tonscherben, Krüge, Reste von gemauerten Brunnen und andere Zeugnisse werden bis heute im Watt gefunden. Übrig blieben nach der ersten Groten Mandränke Inseln, Halligen und die sich nicht mehr zurückziehende Nordsee, die von nun an mit Ebbe und Flut die Landschaft und das Leben der Menschen bestimmte.

Etwa dreihundert Jahre später veränderte die zweite Grote Mandränke die Meeres- und Insellandschaft noch einmal nachhaltig. Während der Sturmflut vom 11. Oktober 1634 harrte eine Frau mit ihren Kindern drei Tage auf dem Dachboden des Tönninger Schlosses aus und sah, dass „die fische durch fenster und thür“ in die Stuben gelangt waren und dort herumschwammen, die Schiffe „auf der gassen gingen, über äcker und wiesen.“ Land ging auch weiter nördlich verloren, und die Nordsee nahm von nun an mehr Raum zwischen Sylt, Amrum, Föhr und den Halligen ein. Ein Pferdeschädel reichte nicht mehr, man benötigte von nun an Schiffe, um von Insel zu Insel und zu den Halligen zu gelangen.

Auf Föhr erinnern auch die stilisierten Sturmflutwellen an der Südstrandpromenade an diese und andere Katastrophen wie die Weihnachtsflut von 1717, die als die größte Flutkatastrophe der Neuzeit gilt. Noch heute heißt es an der Küste: „Wer nicht will deichen, der muss weichen!“ Davon erzählt auch die Flutsäule am Wyker Hafen. Der oberste Metallring trägt die Jahreszahl 4. Februar 1825. Diese Sturmflut überschwemmte dreiviertel der Gesamtfläche Föhrs. Die sogenannte „Jahrhundertflut“ von 1962 ist ein ganzes Stück weiter unten vermerkt. 1981 aber erreichte das Wasser fast die Höhe von 1825. Die Schäden hielten sich in Grenzen, denn die Menschen an der Küste hatten inzwischen hohe Deiche gebaut und andere Schutzmaßnahmen getroffen wie z.B. die Stöpe am Hafen, um die Wyker Innenstadt zu schützen.

Text und Fotos: Karin de la Roi-Frey