Sturmfluten, Lüttmarsch, Kurmittelhaus und Wellenbad

„Gute Frau, Ihr hättet schon längst deichen müssen“, hielt Kapitän Otto Christian Hammer (1822-1892) einer Insulanerin vor. Er war der dänische Statthalter auf Föhr und nach Lüttmarsch gekommen, um Schäden zu begutachten. Es war wohl in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und wieder einmal hatte sich die Nordsee in die tief liegende Lüttmarsch ergossen und dabei beträchtlichen Schaden angerichtet. Die Weideflächen und anderer Landbesitz der Wyker Insulanerin und ihrer Familie befanden sich dort, die nun Hammers Vorhaltungen mit den Worten konterte: „Ja gerne, wenn ich das Portemonnaie des Königs hätte!“

Etwa hundert Jahre später sollte sich diese Situation zum wiederholten Mal zeigen. Der „Blanke Hans“ hatte an dieser Stelle der Insel immer wieder leichtes Spiel. So auch im Jahr 1904, als Südweststürme und Hochwasser in den ersten Tagen des März Föhr heimsuchten. Das Wasser erreicht seltene Höhen und richtete besonders großen Schaden an der Wyker Strandpromenade an. Seit einigen Jahren sorgte die am Ende des 19. Jahrhunderts erbaute höher gelegene Promenade in Richtung „Bi de Süd“, wo sich die Insel in Richtung Süden drehte, zwar für einen gewissen Schutz, aber auch eben nur das und nicht mehr.

1912 hatten Stürme im Januar gar verirrte Vögel zur Folge, und der folgende Oktober machte seinem einstigen Namen „Windmonat“ alle Ehre. 1954 brachten die Vorweihnachtstage die Windstärke 12, das Hochwasser stand drei Meter über Normalnull. Und selbst nach der Jahrhundertflut von 1962, die Lüttmarsch in einen See verwandelt und verstärkte Uferschutzmaßnahmen nach sich gezogen hatte, befürchtete man im Januar 1990, die schwere Sturmflut könnte die Uferböschung bei Lüttmarsch durchbrechen. Feuerwehr und freiwillige Helfer konnten das Unglück verhindern.

Zu dieser Zeit waren die Weideflächen für Vieh, das die Gäste der Wyker Logierhäuser mit frischer Milch und gutem Fleisch versorgte, längst Geschichte. Man hatte in den 1960er Jahren außer den Wohnhäusern auch kleine Ferienhäuschen in Lüttmarsch gebaut, die allerdings bald gravierende Nachteile zeigten. In Lüttmarsch war man dem Wasser der Nordsee zwar besonders nahe und der Weg zum Strand sehr kurz, aber noch ein anderes Wasser machte sich höchst unliebsam bemerkbar, Das Grundwasser sorgte für eine unangenehme, muffige Luft in den Ferienhäuschen, die auch die fleißigste Putzfrau nicht vertreiben konnte. Später riss man die Häuschen ab und setzte die Neubauten in Wannen.

 

Alte Ortsgrenze ist Geschichte

Auch die alte Ortsgrenze von Wyk war schon lange Geschichte. Einst hatte das „lütte Wyk“ am Rebbelstieg aufgehört. Alles, was danach kam, bis hoch zum heutigen Flugplatzgelände und dann hinunter nach Boldixum, gehörte auch zu Boldixum. So lagen also das Damenbad in der Nähe des Leuchtturms ebenso wie dieser und das Herrenbad beim noch immer bestehenden „Schloss am Meer“ genau genommen in Boldixum – bis zu dessen Eingemeindung 1924. Gewisse Nutzungsmöglichkeiten, Landerwerbungen und ein friedliches Miteinander sorgten allerdings schon vorher für den Bau der „Villenkolonie Südstrand“ und den Weg zu den Bädern, heute: Stockmannsweg. Benannt nach dem gleichnamigen Wyker Apotheker, der diesen gegen Wind und Wetter Schutz bietenden Weg anlegte und bepflanzen ließ, begann er am Rebbelstieg und führte in zweiter Ebene parallel an der späteren Promenade entlang, sozusagen mitten hindurch durch das heutige Aquaföhr.

Diese Indoor-Badelandschaft trug über viele Jahre den Namen „Wellenbad“ und stellte vor über fünfzig Jahren etwas völlig Neues dar. Noch viel früher, nämlich 1957, war Anfang November das heute hinter dem Aquaföhr liegende Kurmittelhaus eröffnet worden, und zwar auf halbem Weg zwischen Wyk und dem bisher benachteiligten Südstrand, wie ausdrücklich betont wurde. Eine neue Zeit brach an: „Immer Sommer in der Badewanne. 44 Seewasserbäder schon am ersten Tag – Besuch ersetzt Italienreise.“ Und die Damen können zwischen verschiedenfarbig gekachelten Bädern passend „zum Ton ihrer Haare und ihres Teints wählen.“ Und dann erst die Sauna! „Klein, aber oho. Viel mehr kann man selbst auf einem höllischen Rost nicht schwitzen.“ Was für ein Fortschritt! Wenige Jahre zuvor hatte man den Wykern noch mit einer Stromsperre gedroht, wenn die allzu üppige Schaufensterbeleuchtung nicht ein Ende nähme.

 

Bürger begehren auf

Gerade einmal zehn Jahre nach der Eröffnung des Kurmittelhauses wurde die Wyker Bürgerschaft als „Aktionsgemeinschaft Wellenbad“ aktiv. Am 25. Januar 1968 platzte das „Colosseum“ aus allen Nähten, die Stimmung war gereizt bis aufgeheizt. Von „leidenschaftlichen Zwischenrufen“, aber einer insgesamt sachlichen Diskussion ist später die Rede. Darüber, dass Wyk im Vergleich zu anderen Kurorten „bei Nichtbau abfallen und in einen Dornröschenschlaf versinken würde“, ist man sich einig. Gar nicht einig allerdings, wenn es um die Frage geht, ob eine gewöhnliche Schwimmhalle oder ein „Meerwasserbrandungsbad“ gebaut werden sollte. Die Mehrheit der Stadtvertreter (SPD) fürchteten Folgekosten und lehnten das Wellenbad vorsichtshalber ab.

Höchst unzufrieden mit dieser Entscheidung, bildet sich unter dem Schlagwort „Wyker Wellen wirken Wunder“ eine Bürgerinitiative. Ihr Slogan: „Müde, abgespannt und matt? Besser wird‘s im Wellenbad!“ Ein nicht zu ignorierender Bürgerwille sorgte schließlich für eine neue Abstimmung, und zwar für ein Wellenbad. Ein Jahr nach dem 150. Jubiläum des Seebads Wyk wurde das Wellenbad im März 1970 in Betrieb genommen. Schon Ende des Jahres zeigte sich: „Wyker Wellen wirken Wunder“. Die Wyker Dampfschiffs-Reederei musste über Weihnachten und Silvester Sonderfähren einsetzen, die meisten Hotels waren ausverkauft und ebenso viele Privatquartiere. Das Wellenbad wurde zum mächtigen Magneten für einen winterlichen Aufenthalt auf Föhr. In den warmen Wyker Wellen schwimmend, ging der Blick hinüber zu den Halligen und nach Dagebüll, während sich von draußen der Ostwind an die Scheiben presste und den Sand die Promenade entlang jagte.

 

Lüttmarsch wird zum Freizeitpark

Lüttmarsch hatte sich im Laufe der Zeit zu einem kleinen Freizeitpark mit einer beliebten Minigolfanlage, einem kleinen See, Bänken zum Verweilen, dem Wellenbad, Kurmittelhaus und der Möglichkeit sommerlicher Zirkusveranstaltungen entwickelt. Aus dem ehemaligen Reiterhof waren Ferienwohnungen geworden, der gegenüberstehende Leuchtturm hatte 1953 seine solide Gestalt bekommen und trotzt seitdem den stürmischen Südwest- und Ostwinden. Seit 1998 findet immer wieder das bei Nordseefans und Zuschauern beliebte Wyker Neujahrsschwimmen statt. Ein Jahr später kamen 2000 Schaulustige und 73 Insulanerinnen und Insulaner sowie Gäste stiegen in die Fluten.

„Unse lütte Insel steiht bi unse Badegäste bobenan, dat hört man immer wedder“ sagen Einheimische. Ja, „Wyker Wellen wirken Wunder“, und nicht nur die.

Text und Fotos: Karin de la Roi-Frey